Creed – Rocky’s Legacy

Was Rocky nicht schaffte, erreicht Creed

Wahrscheinlich mache ich mir keine Freunde, wenn ich sage, dass ich nie ein Fan der Rocky-Reihe war. Ich fand sie ok, und sie hatte ihre Momente, aber keiner der Filme hat mich wirklich gepackt. Dieser neue Film jedoch, in dem Rocky (Sylvester Stallone) nur der Nebendarsteller ist und Platz macht für seinen Nachfolger, den Sohn seines toten Freundes, Adonis Creed (Michael B. Jordan), wurde mit so viel Liebe und Können gemacht, dass selbst ich mit einem wohlig warmen Gefühl im Bauch aus dem Kino ging, während ich kurz zuvor noch wässrige Augen hatte. Vielleicht hat der Film auf mich aber nur so eine starke Wirkung, weil ich den Vater-Sohn-Konflikt so gut nachvollziehen kann. Die Suche nach einem Vorbild, einem Ersatzvater, weil der echte nie da war, und die Überwindung des Grolls auf ihn, sind Motive, die ich nur allzu gut aus dem eigenen Leben kenne. Die Romanze, die sich neben Adonis‘ Training entspinnt, kam auch zu einer Zeit, in der ich für die Thematik leicht erreichbar war. Doch selbst ohne meine persönliche Beziehung zu diesen Themen wäre Creed ein außergewöhnlicher Film.

Blut, Schweiß und Tränen

Foto-Credit: Barry Wetcher/ Metro-Goldwyn-Mayer Pictures Inc. and Warner Bros. Entertainment Inc

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Und an alle, die befürchten, dass der Film zu weichgespült ist und die nur Bock auf einen guten Boxfilm haben: die Liebesgeschichte ist keine Schnulze. Sie wird nie kitschig und stiehlt auch nicht zu viel Zeit von dem, was wir wirklich sehen wollen – Männer, die über sich hinaus gehen und nicht nur ihren Gegner durch pure Willenskraft besiegen, sondern auch ihre eigenen Fehler. Und natürlich Blut, Schweiß und Tränen. Der Film strotzt immer noch vor Männlichkeit. Aber falls man, seine Angebetete zu einem Kinobesuch überreden will, hat man damit auf jeden Fall ein gutes Argument.

Ein Höhepunkt wie ein Orgasmus

Das Boxen steht immer im Vordergrund, alle emotionalen Rührseligkeiten bei Seite. Die Kämpfe sind mitreißend inszeniert. Man fühlt sich, als stünde man selbst im Ring und müsse das Dauerfeuer an Schlägen einstecken oder versuchen, ihnen auszuweichen, um zur gegebenen Zeit selbst auszuteilen, was die Euphorie ins Unermessliche treibt, wenn der Held dann wirklich trifft. Der entscheidende Schlag, genauso wie der Moment, in dem Adonis sein Kämpferherz findet, sind die Highlights des Films und werden wie bei gutem Sex immer wieder hinausgezögert. Genau wie die ikonische Titelmelodie, die den ganzen Film über nur angespielt wird. Erst zum Höhepunkt der Spannung kommt man in den Genuss der Trompeten, die die Ankunft des Helden mit Fanfaren bekunden.

Der Erbe des Champs

Foto-Credit: Barry Wetcher/ Metro-Goldwyn-Mayer Pictures Inc. and Warner Bros. Entertainment Inc

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Wie im Roman „Ivanhoe“, in dem ein schwarzer Ritter (kein Wortspiel beabsichtigt), der insgeheim der König von England ist, bei einem Turnier antritt, behält Adonis seine „royale“ Herkunft zunächst für sich, um sich einen eigenen Namen zu machen. Diese Entscheidung beruht weniger auf seinem Ehrgeiz, als auf dem Groll, den er gegen seinen abwesenden Vater hegt. Diese Vater-Sohn-Thematik ist der Dreh- und Angelpunkt aller Ereignisse und die große Stärke von Creed. Denn der größte Muskel, der in diesem Film beansprucht wird, ist das Herz. Und das zu Recht. Denn ohne das und die Hingabe von Regisseur Ryan Coogler (Nächster Halt: Fruitvale Station), der auch das Drehbuch verfasst hat, hätte Creed auch zu einer Enttäuschung, wie der vor noch nicht allzu langer Zeit veröffentlichte Southpaw, werden können.

Ein einstimmiger Sieg

Doch so wie er ist, verprügelt Creed Southpaw auf dem Schulhof, zieht ihm die Hose runter und setzt noch einen dampfenden Haufen auf ihn. Wir sprechen von meilenweitem Abstand in der Qualität. Zwar ist die Story etwas vorhersehbar, aber das macht überhaupt nichts, da das Gefühl stimmt. Man fiebert mit den Charakteren mit, trauert mit ihnen und freut sich für sie. Der Film geizt nicht mit Gänsehautmomenten. Jede Pointe sitzt wie ein Schlag aufs Zwerchfell. Die Chemie zwischen Michael B. Jordan (Nächster Halt: Fruitvale Station, Chronicle – Wozu bist du fähg?) und seinem Ersatzvater Sylvester Stallone (Rocky, Rambo) stimmt, beide begeistern mit einer Mischung aus Witz, Härte und Sensibilität. Ein einstimmiger Sieg mit K.O. in der ersten Runde.

Nicht nur Fans der Rocky-Reihe werden hier auf ihre Kosten kommen. Ein neuer Champ ist geboren und sein Name ist Adonis Creed.

Randnotiz: Sylvester Stallone wurde vierzig Jahre nach seinem ersten Auftritt als Rocky Balboa dieses Jahr für die Darstellung gerade dieser Figur in Creed als bester Nebendarsteller für den Oscar nominiert.

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